Erotischer Overkill

Zu dritt. Anal. Gefesselt. Viele träumen davon aber nur wenige leben sich wirklich aus. Was geschieht mit denen, die sich trauen - und mit jenen, die sich nicht trauen? Komm herein, tritt ein in die fremde wilde Welt. Ein Mausklick reicht, und schon öffnen sie sich, die Fenster zum Paralleluniversum, in der andere Menschen anscheinend ständig super Sex haben.
Zu dritt. In Gruppen. Anal. Oral. Vertikal. Hast du dich schon verführen lassen? Warst du auch dabei? Bei Dingen, für die sich deine Großmutter, wenn sie davon wüsste, im Grab umdrehen würde?„Gerade das Kryptische, das Geheime, das Verzauberte ist es doch, was uns anzieht“, sagt Psychotherapeut Dr. Oliver Urban. Die Frage, ob wir mit unseren Wünschen, Sehnsüchten und Taten dabei noch normal ticken, lässt sich allerdings immer schwerer beantworten. In seiner ureigentlichen Bedeutung meinte das polynesische Wort Tabu sowohl „heilig“ als auch „unantastbar“ - es beschrieb also im doppelten Sinne das Unberührbare.

Heute ist mit einem Tabu vor allem das Unbekannte gemeint. Nur dass es eben relativ schwierig ist, in einer Welt, in der Latexkorsagen und Handschellen scheinbar normal geworden sind, noch ein Geheimnis zu entdecken. Urbans harte Erkenntnis: „Wirkliche Tabus gibt es nicht mehr. Indem alle sexuellen Neigungen öffentlich rauf- und runtergebetet werden, bleibt nichts übrig, was noch schockieren könnte - abgesehen von krankhaften Perversionen wie etwa Pädophilie.“ Schein und Sein
Also treiben es wirklich alle so wild, wie es scheint? Alle, außer dir? Ginge es nach Werbung und Medien und deren jahrzehntelang gültiger Formel „Sex sells“ wäre die Antwort darauf eindeutig „Ja“. Doch angesichts der Omnipräsenz von Nacktheit jedweder Form rückt auch der erotische Overkill immer näher. Laut einer Studie der Universität Hamburg ist die lustvolle Grenzüberschreitung längst nicht so verbreitet wie angenommen.

Über die Hälfte der 30-Jährigen hatte zwar schon „Sex in der Öffentlichkeit“, aber nur 21 Prozent experimentierten mit Dildos, nur 19 Prozent mit Handschellen. Auch der flotte Dreier ist laut einer Umfrage vor allem als Fantasie beliebt: 31 Prozent der Frauen und 58 Prozent der Männer lassen sich von der Vorstellung der Ménage à trois erregen. Doch nur 6 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer haben tatsächlich schon mal den erotischen Kick zu dritt gewagt. Zwischen Wunsch und Wahrheit klafft also eine Riesenlücke. Sag Ja zum Tabu. Der Tabubruch im öffentlichen Raum führt bei vielen Menschen zu einer interessanten Kehrtwende: back to normal, sag „Ja“ zum Tabu! „Die Menschen sind sexuell überfordert und machen dicht“, urteilt Urban. „Und in der sexuellen Praxis vieler passiert dann daheim genau das Gegenteil, nämlich immer weniger.“ Die mediale Überpräsenz hat die eigene süße Lust in vielen Fällen erschlagen, zumindest aber Zweifel ausgelöst: Muss man wirklich unbedingt eine Orgie miterleben? Braucht echt jeder ab und zu den Kick des Verbotenen?
Generell gilt: Alles geht, solange keine Gefühle verletzt werden, seien es die eigenen oder die des Partners. “Sobald Fantasien aber als zwingendes Bedürfnis empfunden werden, sollten sie ausgesprochen oder sogar probiert werden“, rät Urban. Dazu gehört Mut. Doch genauso mutig ist es, einfach Nein zu sagen. Denn das Spiel mit dem sexuellen Feuer ist heiß: „Wer immer die große Aufregung braucht und egoistisch seine Triebe auslebt, verliert irgendwann seine Liebesfähigkeit. Dann geht’s nur um gewisse Techniken oder Tabus, nicht mehr um den Menschen“, meint Urban. Gewagte Tabubrüche machen nicht automatisch glücklicher, sondern können im Gegenteil die ganze Persönlichkeit erschüttern. Ein hoher Preis für horizontale Erfahrungen jenseits des eigenen Horizonts.
Tabu? Öffentlicher Sex?

„Auf einer Grillfeier im Garten von Freunden tauchte ein Typ auf, den ich flüchtig kannte. Wir flirteten intensiv - nicht nur die Luft über dem Grill knisterte. Als wir beide schon reichlich angetrunken waren, sagte ich zu ihm: „Ich gehe vor - du kommst nach.“ Tatsächlich folgte er mir ins Badezimmer, das keinen Schlüssel hatte. Auf dem Rand der Badewanne packte er mich. Es dauerte nicht sehr lange - wir mussten jede Minute damit rechnen, ertappt zu werden. Später erfuhr ich erst, dass er verheiratet ist - sonst hätte ich das nicht getan.“
Eva (24) aus Wien
Tabu? Analverkehr?

„Allein bei dem Wort „anal“ schrillten bei mir lange die Alarmglocken. Mit neunzehn verwechselte mein damaliger Freund aus Versehen die Öffnungen und zersprengte voller Schwung mein Rektum - so fühlte es sich an. Ein Trauma! Die Schmerzen waren unvergleichlich, die Erinnerung daran war so furchtbar, dass ich nie wieder was davon hören wollte. Bis ich einen Partner hatte, der mich auf den Geschmack brachte, der sich langsam heran tastete. Heute mag ich Analsex sogar. Für mich ist er kein Tabu mehr, sondern eine normale Technik, für die man unbedingt den richtigen Partner braucht. Niemals bei einem One-Night-Stand.“
Kristin (29) aus Graz
Tabu? Sadismus?

„Kurz nach der Tsunami-Katastrophe, bei der auch ein Freund von mir vermisst wurde, ging es mir nicht gut. Ich war ein Nervenbündel. Da gab es den Mann aus einem Chat, der mich seit Wochen mit eindeutigen Mails bombardierte. Ich wusste, dass er auf S/M-Praktiken steht. Doch zu diesem Zeitpunkt war ich so fertig, dass mir alles egal war, seine Penetranz wirkte. Eines Abends fuhr ich zu ihm. Als er nach einer Weile Handschellen herausholte, wunderte ich mich gar nicht, ließ mir die Augen verbinden, mich an den Bettpfosten fesseln. Der Sex war brutal, tat weh. Danach brachte ich das Erlebte im Kopf nicht mehr zusammen, löschte mein Profil im Chat, brach jeden Kontakt ab. Nun weiß ich es ganz genau: Gewalt ist ein absolutes Tabu für mich. Das will ich nicht noch einmal erleben.“
Isabella (33) aus Bregenz
Tabu? Sex zu dritt?

„Zwei Männer und ich - klar hatte ich davon geträumt, doch nie gedacht, dass es wahr werden könnte. Der Zufall half mir dabei. Ich war mit einer Freundin unterwegs in der Stadt, Jacke, Schlüssel, Handy ließ ich in ihrem Auto. In der Bar traf ich einen alten Bekannten, Tim. Wir redeten uns fest, bis das Licht anging, meine Freundin weg war. Mir blieb nichts anderes übrig, als bei Tim zu übernachten. Was ich nicht wusste: Auch sein bester Freund schlief dort. Das Bett teilten wir zu dritt, ich in der Mitte. Kurz vor dem Einschlafen spürte ich eine Hand auf meinem Hintern, ganz sanft. „Was soll das?“, protestierte ich halbherzig, wehrte mich aber nicht, sondern ließ es geschehen. Es fühlte sich gut an. In jener Nacht war ich eine Prinzessin, verwöhnt von vorn bis hinten, es ging nur um mich, in allen Variationen. Am nächsten Morgen frühstückten wir noch zusammen, danach hat niemand mehr Kontakt gesucht. Ich würde es wieder tun, doch planen kann man so etwas nicht. Zeitpunkt und Situation müssen stimmen.“
Sandra (31) aus Krems

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